Was ist bei der Scheidungsberatung beider Eheleute zu beachten:
Fall
Der Beklagte suchte die klagende Rechtsanwältin zu einer anwaltlichen Beratung in einer Scheidungsangelegenheit am 10.3.2011 gemeinsamen mit seiner Ehefrau auf. Zu Beginn des Gesprächs ergab sich, dass die Eheleute unterschiedliche Vorstellungen über die Modalitäten der Trennung und der Scheidung hatten. Wunschgemäß versandte die Klägerin das Protokoll über das Beratungsgespräch an sie beide. Die Ehefrau mandatierte daraufhin andere Anwälte. Nachdem die Klägerin weiterhin für den Beklagten tätig geworden war, kündigte dieser am 26.4.2011 das Mandat. Die Klägerin rechnete ihre Leistungen in Höhe von 1.811,36 Euro gegenüber dem Beklagten ab. Dieser beglich die Rechnung nicht und beauftragte ebenfalls andere Anwälte mit der Vertretung seiner familienrechtlichen Interessen. (2) Die Klägerin verlangte von dem Beklagten den berechneten Betrag. Das Amtsgericht hat die Klage ab-, das Landgericht hat ihre Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin das geltend gemachte Anwaltshonorar weiter.
Lösung:
I. Das Landgericht hat ausgeführt: Der Klägerin stehe ein vertraglicher Vergütungsanspruch nicht zu, weil sie entgegen § 43a Abs. 4 BRAO beide Eheleute beraten habe, was nach § 134 BGB zur Nichtigkeit des Anwaltsvertrages geführt habe. Denn schon zu Beginn des Beratungsgesprächs habe sich herausgestellt, dass sich die Vorstellungen der Eheleute zu mehreren Fragen als Folge ihrer Trennung und der beabsichtigten Scheidung widersprächen. Auch eine Teilvergütung komme nicht in Betracht, weil die Klägerin den Beklagten bereits in den Jahren 2008/2009 familienrechtlich beraten habe und sie deswegen nicht mehr für beide Eheleute hätte tätig werden dürfen. Gesetzliche Vergütungsansprüche bestünden ebenso wenig. Ansprüche aus §§ 670, 677, 683 BGB stünden der Klägerin nicht zu, weil sie ihre Aufwendungen im Zusammenhang mit einer gesetzeswidrigen Tätigkeit nicht für erforderlich habe ansehen dürfen. Bereicherungsrechtliche Ansprüche seien auch nicht begründet, weil der Beklagte jedenfalls anreichert sei. Nach Aufdeckung der Interessenkollision habe er berechtigt einen anderen Anwalt mit seiner umfassenden familienrechtlichen Vertretung beauftragt.
II. Diese Ausführungen halten jedenfalls im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung stand.
1. Beide Vorinstanzen haben, was die Revision nicht in Zweifel zieht, festgestellt dass die Klägerin in dem die streitgegenständlichen Gebühren auslösenden Beratungsgespräch am 10.3.2011 den Beklagten und seine Ehefrau gemeinsam beraten hat. Hiervon ist deshalb für das Revisionsverfahren auszugehen.
2. Auf die vom Berufungsgericht und der Revisionsbegründung aufgeworfenen Frage, ob der anlässlich des Beratungsgesprächs am 10.3.2011 zustande gekommene Anwaltsvertrag wegen eines Verstoßes gegen das Verbot. widerstreitende Interessen zu vertreten (§ 43a Abs. 4 BRAO, § 3 Abs. 1 BORA), nach § 134 BGB unwirksam ist, kommt es nicht an. Denn auch bei Wirksamkeit des Anwaltsvertrags steht der Klägerin ein Zahlungsanspruch gegenüber dem Beklagten nicht zu.
a) In Scheidungsverfahren soll es häufig vorkommen, dass sich die scheidungswilligen Eheleute in der Annahme völligen Interessengleichklangs und der Absicht, die Kosten für einen zweiten Anwalt zu sparen, gemeinsam durch einen Anwalt beraten lassen wollen (vgl. § 1566 Abs. 1 BGB, §§ 114 Abs. 1 und 4 Nr. 3, 128 Abs. 1, 133 Abs. 1 Nr. 2 FamFG; Göppinger/Börger, Vereinbarungen anlässlich der Ehescheidung 10. Aufl. 1. Teil Rn 143; Hartung, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 5. Aufl. § 3 BORA Rn 57; Henssler, in : Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl. § 43a Rn 178), Auch wenn das durch die Ehe begründete einheitliche Lebensverhältnis eine identische Rechtssache darstellt (Böhnlein, in: Feuerich/Wevland/Vossebürger/Böhnlein/Brüggemann, BRAO, 8. Aufl. § 43a Rn 63; Hartung, a.a.O. Rn 56; Henssler, a.a.O. Rn 177, 200; Kleine-Cosack, BRAO, 6. Aufl. § 43a Rn 93) und die Eheleute im Falle der Trennung und Scheidung über das möglicherweise gleichlaufende Interesse hinaus, möglichst schnell und kostengünstig geschieden zu werden, typischerweise gegenläufige Interessen in Bezug auf die Scheidungsfolgen haben, wird in Rechtsprechung und Literatur die Meinung vertreten, dass eine gemeinsame Beratung mit dem Ziel einer einvernehmlichen Scheidung im Grundsatz möglich ist, wobei Voraussetzungen und Folgen einer solchen gemeinsamen Beratung unterschiedlich gesehen werden (zu den Voraussetzungen einerseits BayObLG NJW 1981, 832, 833; KG, NJW 2008, 1458 f., andererseits AG Gifhorn FÜR 2004, 161 f; Göppinger/Börger, a.a.O. Rn 146; Henssler a.a.O. Rn 178; Groß, FÜR 2000, 136, 138; zu den Folgen einerseits Groß, FÜR 2000, 136, 139; andererseits Glöinger/Börger, a.a.O.; Henssler a.a.O.; noch weiter gehend OLG Karlsruhe NJW 2002, 3563; Kleine-Cosack, a.a.O. Rn 122; der Zulässigkeit einer gemeinsamen Beratung stehen ablehnend gegenüber: AG Neunkirchen FamRZ 1996, 298 f.; LG Hildesheim FF 2006, 272; Hartung, o.a.O. Rn 57 ff.; Zuck, in: Gaier/Wolf/Glöcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 43 BRAO/§ 3 BORA Rn 11). Jedenfalls dann, wenn die gemeinsame Beratung der Eheleute nicht zu der beabsichtigten Scheidungsfolgenvereinbarung führt und es trotz anfänglicher Übereinstimmung während der anwaltlichen Beratung zu einem Interessenwiderstreit kommt, darf der Rechtsanwalt für keinen der beiden Ehepartner mehr tätig werden; in diesem Punkt besteht inRechtsprechung und Literatur Einigkeit (AG Gifhorn a.a.O.; Göppinger/Börger, a.a.O.; Henssler, a.a.O.; Becker-Eberhard, FS Dieter Schwab, 2005, 629, 633; Kilian, RdA 2006, 120, 124; Kleine-Cosack, AnwBl 2005, 338, 340).
b) Zugunsten der Klägerin unterstellt der Senat, dass eine so beschriebene gemeinsame Beratung scheidungswilliger Eheleute zulässig ist, sie den Beklagten und seine Ehefrau in diesem Sinne gemeinsam beraten hat und der unauflösliche Interessenwiderstreit zwischen den Eheleuten erst aufgetreten ist, nachdem alle von ihr abgerechneten Gebührentatbestände erfüllt waren, der Anwaltsvertrag mithin bis zum Erkennbar werden des Interessenwiderstreits wirksam und die geltend gemachte Vergütung im Grundsatz verdient war (vgl. BGH Urt. V. 23.4.2009 – IX ZR 167/07, NJW 2009, 3297 Rn 32). Trotzdem kann sie die geltend gemachten Gebühren nach § 242 BGB nicht verlangen, weil dem Beklagten in diesem Fall in Höhe der Gebührenforderung aus dem Anwaltsvertrag i.V.m §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB ein Schadensersatzanspruch gegen die Klägerin zusteht.
aa) Die Klägerin hätte den Beklagten und seine Ehefrau vor der gemeinsamen Beratung darauf hinweisen müssen, dass ein Anwalt im Grundsatz nur einen von ihnen beraten kann, dass sie bei einer gemeinsamen Beratung nicht mehr die Interessen einer Partei einseitig vertreten darf, sondern sie die Eheleute nur unter Ausgleich der gegenseitigen Interessen beraten kann, und dass sie jedenfalls dann, wenn die gemeinsame Beratung nicht zu einer Scheidungsfolgenvereinbarung führt und widerstreitende Interessen der Eheleute unüberwindbar aufscheinen, das Mandat gegenüber beiden Eheleute niederlegen muss mit der Folge, dass beide Eheleute neue Anwälte beauftragen müssen, so dass ihnen Kosten nicht nur für einen, sondern für drei Anwälte entstehen. Weiter hätte sie die Eheleute darüber belehren müssen, dass sie möglicherweise auch dann, wenn die Eheleute eine Scheidungsfolgenvereinbarung treffen, einen der Eheleute im Scheidungsverfahren zur Stellung des Scheidungsantrags nicht vertreten kann, die Eheleute danach auch im Fall der einvernehmlichen Scheidung die Kosten für zwei Anwälte tragen müssen, weil diese Frage richterlich noch nicht geklärt ist (vgl. die oben zitierte Lit.). Diese Belehrungen hat die Klägerin dem Beklagten und seiner Ehefrau pflichtwidrig nicht erteilt.
Dass ein Rechtsanwalt seinem Mandanten Belehrungen über Umstände schuldet, die zusätzlichen Kosten für den Mandanten führen können, ist in der Rechtsprechung des Senats anerkannt (vgl. BGH, Urt.v.8.11.2007 – IX ZP 5/06, BGHZ 174, 186 Rn 14). Aber auch im Übrigen hat der Rechtsanwalt den Mandanten darüber aufzuklären, wenn aus Sicht des Mandanten Bedenken darüber bestehen können, ob der Anwalt seine Interessen konsequent durchsetzt. So muss ein Rechtsanwalt, der während des Mandatsverhältnisses in einer anderen Sache einen Dritten gegen den Mandanten vertritt, darauf hinweisen, weil der Mandant in der Regel darauf vertraut, dass der von ihm beauftragte Anwalt nur seine Interessen und nicht auch gleichzeitig die Interessen Dritter gegen ihn wahrnimmt (BGH a.a.O. Rn 10). Darüber hinaus hat ein Rechtsanwalt auch offenzulegen, dass er oder ein anderes Mitglied seiner Sozietät den Gegner der Person, welche ihm ein neues Mandat
anträgt, häufig in Rechtsangelegenheiten vertritt, und zwar unabhängig davon, ob ein tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang zu dem neuen Mandat besteht. Denn der Rechtsuchende darf einen unabhängigen, verschwiegenen und nur den Interessen des eigenen Mandanten verpflichteten Rechtsanwalt erwarten, der seine Interessen ohne Rücksicht auf die gegenläufigen Interessen der anderen Seite umfassend vertritt. Wird ein Anwalt oder dessen Sozius häufig für eine bestimmte Partei tätig, kann aus der Sicht anderer Mandanten fraglich sein, ob der Anwalt ihre Interessen gegenüber dem anderen Mandanten mit gleichem Nachdruck vertritt wie gegenüber einem dem Anwalt völlig gleichgültigen Gegner (BGH a.a.O.l Rn 12 f).
In einer ähnlichen Lage befinden sich die scheidungswilligen Eheleute, die den Rechtsanwalt vielleicht aus Kostengründen zu einer gemeinsamen Beratung aufsuchen. Ihnen ist in diesem Fall nicht bewusst, dass ihre Interessen gegenläufig sein können, weil ihnen die gegenseitigen Rechte unbekannt sind. Sie vertrauen darauf, dass der sie gemeinsam beratende Rechtsanwalt das Beste für sie herausholt, ohne sich klar zu machen, dass dieser in einer gemeinsamen Beratung bei gegenläufigen Interessen dazu nicht in der Lage sein wird. Zudem ist ihnen die Gefahr unbekannt, dass der Anwalt, der sei gemeinsam berät, unter Umständen das Mandat gegenüber beiden niederlegen muss, und dass auf sie zusätzliche Anwaltskosten zukommen können.
bb) Infolge der unterlassenen Hinweise ist dem Beklagten auch der Schaden in Höhe der Gebührenforderung der Klägerin entstanden. Denn er musste, nachdem diese infolge der bei der gemeinsamen Beratung auftretenden widerstreitenden Interessen weder für seine Ehefrau noch für ihn mehr tätig werden durfte und beiden Eheleuten gegenüber das Mandat niederlegen musste (§ 43a Abs. 3 BRAO, § 3 Abs. 1 und 4 BORA, vgl. auch Nr. 3.2.1. und 3.2.2. der Berufsregeln der Rechtsanwälte der Europäischen Union), einen neuen Anwalt mit seiner Vertretung in der familienrechtlichen Angelegenheit beauftragen, so dass die von der Klägerin geltend gemachten Gebühren für ihn erneut anfielen. Die von der Klägerin erbrachte Beratungsleistung war für ihn insoweit wertlos. Hätte die Klägerin dem Beklagten und seiner Ehefrau die erforderlichen Hinweise erteilt, spricht eine Vermutung dafür, dass diese sich nicht gemeinsam von ihr hätten beraten lassen. Vielmehr hätte sich der Beklagte allein von ihr beraten und vertreten lassen (vgl. G. Fischer, in: Zugehör/G. Fischer/Vill/D. Fsicher/Rinkler/chab, Handbuch der Anwaltshaftung 3. Aufl. Rn 1115). Denn die Eheleute hatten –wie sie wussten- vor dem Gespräch mit der Klägerin weder den Unterhalt noch den Hausrat und den Kindesumgang des Beklagten geklärt. Ein Scheitern der gemeinsamen Beratung lag mithin auf der Hand. Bei dem Entschluss des Beklagten, sich allein oder gemeinsam mit der Ehefrau beraten zu lassen, handelt es sich auch nicht um eine Entscheidung im höchstpersönlichen Lebensbereich, bei der die Vermutungsregel nicht gilt (vgl. g. Fischer, a.a.O. Rn 1113).