Scheidungsrecht Rechtsprechung: Ehegattenunterhalt, Kindesunterhalt, Ehevertrag, Düsseldorfer Tabelle

Kindesunterhalt trotz Einkommen von EURO 627,--

OLG München: Leistungsfähigkeit eines Rechtsanwalts für Kindesunterhalt
BGB §§ 1603 II, 1612 b V

Die im Rahmen üblicher Umgangskontakte gewährte Verpflegung führt nicht zu Erstattungsansprüchen des besuchten Elternteils. Wie das Oberlandesgericht München entschieden hat, hat der Unterhaltsschuldner vielmehr die ihm bei der Ausübung des Umgangsrechts entstehenden üblichen Kosten grundsätzlich selbst zu tragen. Sofern der Schuldner Unterhalt in Höhe von 135 Prozent des Regelbetrages nicht zahlen kann, hat eine Anrechnung des Kindergeldes zu unterbleiben. Ein Rechtsanwalt, der in den letzten 7 Monaten nur 12 Gerichtstermine wahrgenommen hat und durchschnittlich 54 Neumandate pro Jahr bearbeitet, genügt den erhöhten Erwerbsobliegenheiten im Rahmen einer Verpflichtung zur Zahlung von Kindesunterhalt nicht.
OLG München, Urteil vom 25.09.2007 - 4 UF 75/07; BeckRS 2007, 15792

Sachverhalt
Der Beklagte wurde auf Kindesunterhalt in Anspruch genommen. Das AG hat die Klage abgewiesen und auf die Drittwiderklage des Beklagten den Beschluss eines anderen AG, ergangen in einem Vorverfahren, dahin abgeändert, dass der Beklagte keinen Barunterhalt an das Kind zu zahlen habe. Zur Begründung führte das AG aus, das Einkommen des Beklagten liege unter dem notwendigen Selbstbehalt. Den Beklagten treffe keine gesteigerte Unterhaltspflicht, weil die Mutter des Klägers wegen ihrer guten Einkommensverhältnisse als «anderer unterhaltspflichtiger Verwandter» für den Unterhalt des Kindes aufkommen könne. Die Berufung des Klägers erwies sich als erfolgreich; sie führte zur Zuerkennung eines erhöhten Kindesunterhalts.

Rechtliche Wertung
Beansprucht werde lediglich ein Kindesunterhalt in Höhe von 100 Prozent des Regelbetrages. Von einer teilweisen Bedarfsdeckung könne nicht deshalb ausgegangen werden, weil sich das Kind teilweise beim Beklagten aufhalte. In den Tabellensätzen seien nur die bei einem Elternteil anfallenden Wohnkosten enthalten. Eine teilweise Bedarfsdeckung durch die Verpflegung des Kindes durch den umgangsberechtigten Unterhaltsschuldner könne nicht angenommen werden. Die im Rahmen üblicher Umgangskontakte gewährte Verpflegung führe nicht zu Erstattungsansprüchen des besuchten Elternteils; dieser habe vielmehr die ihm bei Ausübung des Umgangsrechts entstehenden üblichen Kosten grundsätzlich selbst zu tragen (BGH, Urteil vom 23.02.2005 - XII ZR 56/02, NJW 2005, 1493). Da der Beklagte nicht zur Zahlung von Kindesunterhalt in Höhe von 135 Prozent des Regelbetrages im Stande sei, habe eine Anrechnung des Kindergeldes zu unterbleiben (§ 1612b V BGB; BGH, Urteil vom 28.02.2007 - XII ZR 161/04, NJW 2007, 1882).

Der Beklagte könne zumutbar ein monatliches, für den Kindesunterhalt verwendbares Einkommen von 1.523 Euro erzielen, auch wenn nicht verkannt werde, dass er nach den Feststellungen des AG in den Jahren 2000 - 2002 (nach Abzug von KV und AV) nur ein durchschnittliches Nettoeinkommen von monatlich rund 385 Euro erwirtschaftet habe. In den Jahren 2003 - 2005 habe sich dieses Einkommen auf durchschnittlich nur rund 627 Euro erhöht. Da sich das unterhaltsrechtlich relevante Einkommen aber nicht nur nach den tatsächlichen Verhältnissen richte, sondern auch danach, welches Einkommen erzielt werden könne, sei hier von hinreichender Leistungsfähigkeit auszugehen, vor allem auf Grund der erhöhten Obliegenheiten nach § 1603 II 1 BGB. Dies gelte vor allem deshalb, weil das Kind nur einen Kindesunterhalt von weniger als 100 Prozent des Regelbetrages beanspruche. Den gesteigerten Obliegenheiten entspreche der Beklagte nicht. Er habe nichts Wesentliches unternommen, um sein Einkommen deutlich zu erhöhen und den Mindestunterhalt des Kindes sicherzustellen. Auf gerichtliche Anfrage habe er mitgeteilt, in den letzten 7 Monaten nur 12 Gerichtstermine wahrgenommen zu haben; durchschnittlich habe er 54 Neumandate pro Jahr bearbeitet. Er habe zwar vorgetragen, neben der Kindesbetreuung rund 40 Stunden/Woche zu arbeiten. Den genauen Gegenstand dieser Arbeit habe er aber nicht dargelegt, und er habe auch nicht angegeben, inwieweit aus dieser Tätigkeit Einnahmen erwirtschaftet würden. Seine Einnahmen wichen dermaßen stark vom Durchschnitt eines Rechtsanwalts ab, dass das Gericht davon überzeugt sei, dass der Beklagte seiner Erwerbsobliegenheit nicht hinreichend nachkomme. Die Bundesrechtsanwaltskammer habe in einer Presseerklärung aus dem Jahre 2003 mitgeteilt, dass einem Sozius in einer örtlichen Kanzlei (nach Abzug der Kosten und der Einkommenssteuer) monatlich 3.172,00 Euro verblieben. Nach einer anderen Umfrage liege der durchschnittliche persönliche Überschuss eines Einzelanwalts in Westdeutschland im Jahre 2002 bei 47.000 Euro, der Überschuss eines Anwalts in einer lokalen Sozietät bei 77.000 Euro. Das Soldan-Institut habe ein Jahresbruttoeinkommen eines neu angestellten Junganwalts von 43.395 Euro mitgeteilt. Selbst ein Versicherungssachbearbeiter erhalte nach Tarifvertrag brutto 2.090 bis 3.505 Euro. Dagegen nehme der Beklagte hier zumindest seit dem Jahre 2000 – trotz seiner Unterhaltsverpflichtungen nach § 1603 II 1 BGB – ein Einkommen hin, welches deutlich unter seinem eigenen Selbstbehalt liege.

Vorliegend könne der Beklagte mindestens monatlich 1.523 Euro beziehen; dieser Betrag werde im Durchschnitt von den drei Rechtsanwälten der Sozietät des Beklagten erwirtschaftet. Der Beklagte habe auch reale Erwerbsmöglichkeiten, um dieses Einkommen zu erzielen; ein Sozietätsmitglied erziele durchweg mehr als das Doppelte des errechneten Betrages. Die örtliche wirtschaftliche Situation in Lindau (Bodensee) sei überdurchschnittlich gut. Der Beklagte habe keinerlei Aktivitäten vorgetragen, um zusätzliche Mandate zu erhalten. Bemühungen, z. B. durch Vorträge bei der IHK oder einer Volkshochschule, in Vereinen, Kindergärten oder Schulen auf seine Tätigkeit aufmerksam zu machen, seien nicht dargelegt. Sein Hinweis darauf, das Asylverfahrensrecht als sein Spezialgebiet werfe keinen ausreichenden Erträge ab, führe zu keinem anderen Ergebnis. Zum einen ergebe sich aus der Auflistung der Mandate, dass der Beklagte in einer Vielzahl von Rechtsgebieten tätig sei; zum anderen habe er auf den Rückgang der Verfahren nach dem Asylverfahrensgesetz zu reagieren und auch andere Rechtsgebiete zu bearbeiten. Angesichts der dauerhaft unzureichenden tatsächlichen Einnahmen als selbstständiger Rechtsanwalt habe der Beklagte im Übrigen auch die Verpflichtung, eine besser bezahlte anderweitige abhängige Tätigkeit anzunehmen, so z. B. bei einer Versicherung, wo in gehobener Sachbearbeitung ein Bruttoeinkommen von 3.000 Euro zu verdienen sei. Der Vortrag des Beklagten zu einer behaupteten eingeschränkten Leistungsfähigkeit sei unsubstantiiert geblieben.

Die Kindesmutter sei am Barunterhalt nicht zu beteiligen. Sie erfülle ihre Unterhaltspflicht dem Kind gegenüber durch Betreuung (§ 1606 III 2 BGB). Das deutliche Schwergewicht und die Hauptverantwortung für das Kind lägen bei ihr. Die Ausgestaltung des Umgangsrechts, wonach sich das Kind etwa 5 von 14 Tagen beim Beklagten aufhalte, führe nicht zu einer gleichrangigen Mitbetreuung des Kindes durch den Beklagten (BGH, Urteil vom 28.02.2007 - XII ZR 161/04, NJW 2007, 1882; Urteil vom 21.12.2005 - XII ZR 126/03, NJW 2006, 2258). Auch aus den Einkommensverhältnissen ergebe sich keine anteilige Verpflichtung der Kindesmutter zur Zahlung von Barunterhalt, weil auf Seiten des Beklagten fiktive Einkünfte zu berücksichtigen seien.

Praxishinweis
Die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners richtet sich bekanntlich nicht allein nach den Mitteln, über die er tatsächlich verfügt, sondern auch nach solchen, die er bei zumutbaren Bemühungen erzielen könnte. Auch die Stärke der Unterhaltspflicht ist von Bedeutung: Gegenüber minderjährigen unverheirateten Kindern (und den diesen gleichgestellten, im Haushalt eines Elternteils lebenden volljährigen Schülern) ist die Unterhaltspflicht gesteigert; hier stellen die Gerichte an Art und Intensität der notwendigen Bemühungen höhere Anforderungen als im Rahmen einer «normalen» Unterhaltspflicht (BGH, Urteil vom 22.12.1982 - IV b ZR 320/81, NJW 1983, 814). Ob und in welchem Umfang man auf Seiten des Schuldners fiktive Einkünfte ansetzen kann, hängt sowohl von objektiven (z. B. Lage auf dem Arbeitsmarkt) wie subjektiven Umständen (Ausbildung, Alter, Gesundheit, Fähigkeiten) ab. Entscheidend ist dann, welche Einkünfte der Schuldner bei gutem Willen in zumutbarer Weise erzielen könnte (BGH, Urteil vom 22.10.1997 - XII ZR 278/95, FamRZ 1998, 357, 359; BGH, Urteil vom 18.03.1992 - XII ZR 23/91, NJW 1992, 2477).

Die von vielen Gerichten vertretene eher strenge Linie ist nachvollziehbar vor dem Hintergrund, dass minderjährige Kinder keine Möglichkeit haben, ihren Lebensbedarf auch n ur zum Teil durch eigene Anstrengungen zu decken. Das findet seinen Ausdruck in den besonders hohen Anforderungen, die an den Unterhaltsschuldner gestellt werden. Die «Gegenbewegung» wurde eingeleitet durch die «Hilfskellner-Entscheidung» des OLG Hamm (Beschluss vom 08.07.2004 - 2 WF 307/04, FamRZ 2005, 649). Dort wurde – ungewohnt deutlich – die in der Rechtsprechung der erstinstanzlichen Familiengerichte zu beobachtende Tendenz kritisiert, pauschal zusätzliche Einkünfte aus Nebentätigkeit hinzuzurechnen, ohne eine Einzelfallprüfung vorzunehmen. Auch das BVerfG (Beschluss vom 05.03.2003 - 1 BvR 752/02, FPR 2003, 479) verlangt seit Längerem die Einzelfallprüfung in Bezug auf die Vereinbarkeit einer Nebenbeschäftigung mit der Hauptbeschäftigung sowie in Bezug auf arbeitsrechtliche Aspekte. Das BVerfG hat in einer aktuellen Entscheidung (Beschluss vom 29.12.2005 - 1 BvR 2076/03, NJW 2006, 2317) erneut differenziert geurteilt und darauf hingewiesen, dass im Rahmen einer Gesamtwürdigung überprüft werden muss, ob z. B. eine überregionale Arbeitssuche des Schuldners Aussicht auf Erfolg hat.

Im vorliegenden Fall wird man nicht alle Ausführungen des Gerichts ohne Weiteres «unterschreiben» können: Wer die wachsenden Zulassungszahlen im Anwaltsbereich in den vergangenen Jahren beobachtet hat, dürfte eher zurückhaltend sein mit der Annahme, anwaltliche Einnahmen ließen sich mehr oder weniger problemlos durch Vorträge bei IHK oder Volkshochschule, in Vereinen oder Kindergärten steigern. Angesichts der «Entlassungswellen» in der Versicherungswirtschaft erscheint auch der gerichtliche Hinweis auf eine alternative Tätigkeit bei einer Versicherung zweifelhaft. Richtig bleibt aber zum einen der Hinweis auf die allgemeinen Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast, denen der Beklagte hier zweifelsfrei nicht genügt hatte; zum anderen verlangte das Gericht zu Recht weitergehende Darlegungen angesichts des Umstandes, dass der Unterhaltsschuldner hier in einer Sozietät tätig war und die Einnahmen der übrigen Kollegen über denjenigen des Beklagten lagen. Hier wäre substantiierter Vortrag des Beklagten zu erwarten gewesen, in dem beispielsweise auf eine ungünstige Kostenstruktur des von ihm betreuten Gebietes hätte hingewiesen werden können.

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