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Fiktive Einkünfte bei Verletzung der Erwerbsobliegenheit durch 17-jähriges Kind

 

OLG Stuttgart: Fiktive Einkünfte bei Verletzung der Erwerbsobliegenheit durch 17-jähriges Kind

BGB § 1602

In der Zeit, in der ein minderjähriges Kind nicht zur Schule geht und auch keine Ausbildung absolviert, besteht eine Pflicht zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, sofern dem nicht Vorschriften des Jugendarbeitsschutzgesetzes entgegenstehen. Wie das Oberlandesgericht Stuttgart entschieden hat, sind dem Kind für den Fall einer Verletzung dieser Erwerbsobliegenheit fiktive Einkünfte zuzurechnen, die das Kind bedarfsdeckend einzusetzen hat.

OLG Stuttgart, Beschluss vom 20.03.2008 - 15 UF 28/08; BeckRS 2008, 22071

 

Sachverhalt

Das klagende Kind (Kläger) begehrte von der Beklagten, seiner Mutter, die Zahlung von Kindesunterhalt. Nach Abweisung der Klage durch das AG begehrte der Kläger die Bewilligung von PKH für das Berufungsverfahren. Dieser Antrag wurde wegen fehlender Erfolgsaussicht vom OLG zurückgewiesen.

Rechtliche Wertung

Das OLG weist zunächst darauf hin, dass nach § 1602 I BGB nur derjenige unterhaltsberechtigt sei, der außerstande sei, sich selbst zu unterhalten. Sofern ein minderjähriges Kind nicht zur Schule gehe und auch keine Ausbildung absolviere, bestehe eine Pflicht zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Rahmen der Vorschriften des Jugendarbeitsschutzgesetzes; dieses Gesetz stehe einer Erwerbstätigkeit des 17-jährigen Klägers nicht entgegen. Komme das Kind seiner Erwerbsobliegenheit nicht nach, so müsse es sich in erzielbarer Höhe fiktive Einkünfte zurechnen lassen, die bedarfsdeckend einzusetzen seien. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass trotz hinreichender Bemühungen keine Möglichkeit zur Bedarfsdeckung bestehe, trage der Unterhaltsberechtigte. Vorliegend habe das Kind zu den entfalteten Erwerbsbemühungen nicht hinreichend konkret vorgetragen. Anders als in einem vom OLG Köln entschiedenen Fall (Urteil vom 20.04.2004 – 4 UF 229/03, FamRZ 2005, 301) fordere der Kläger hier Unterhalt nicht, damit er eine Ausbildung absolvieren könne; er wünsche vielmehr, dass die Beklagte ihm ein Leben in Untätigkeit finanziere. In einem solchen Fall bestehe aber auch nach Ansicht des OLG Köln keine Unterhaltspflicht. Anhaltspunkte für ausreichende Bemühungen um eine Ausbildungsstelle habe der Kläger nicht vorgetragen. Aber selbst wenn man – entgegen der h.M. – auf Grund des Rechtsgedankens aus § 1611 II BGB (keine Verantwortlichkeit eines minderjährigen Kindes für Verfehlungen) von einer Unerheblichkeit der Obliegenheitsverletzung ausgehe, bestehe keine Erfolgsaussicht für eine Berufung. Denn bereits die Klage sei unschlüssig, weil die Aufteilung der Barunterhaltspflicht unter den Eltern (ggf. unter Berücksichtigung geleisteten Naturalunterhalts) nicht nachvollziehbar dargestellt worden sei, § 1606 III 1 BGB.

Praxishinweis

Auch wenn minderjährige Kinder auf Grund ihres Alters, ihrer körperlichen Verfassung und ihres Ausbildungsstandes in der Regel nicht zur Erzielung eines kontinuierlichen Einkommens im Stande sind, trifft sie unterhaltsrechtlich die Obliegenheit, sich um einen Ausbildungsplatz zu bemühen. Eine Erwerbstätigkeit ist sowohl für die Zwischenzeit aufzunehmen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 03.03.1999 - 3 WF 187/98, FamRZ 2000, 442: Verpflichtung zur Teilzeittätigkeit bis zum Antritt einer Lehrstelle) wie nach Abschluss oder Abbruch der Ausbildung (OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.08.1989 - 5 UF 4/89, NJW 1990, 1798).

Im Rahmen der Anrechnung fiktiver Einkünfte ist die Ansicht des OLG Stuttgart allerdings nicht unumstritten. Dies folgt aus § 1611 II BGB: Wenn ein schwerwiegendes Fehlverhalten des minderjährigen Kindes nicht zu einer unterhaltsrechtlichen Sanktion wie gegenüber einem volljährigen Kind (§ 1611 I BGB) führen kann, dann verbietet sich erst recht ein Rückgriff auf die allgemeinen Grundsätze, die für die Verletzung einer Erwerbsobliegenheit entwickelt worden sind (OLG Hamburg, Beschluss vom 22.12.1994 - 15 WF 205/94, FamRZ 1995, 959; OLG Saarbrücken, Urteil vom 07.04.1999 - 9 UF 147/98, FamRZ 2000, 40 m.w.N., auch zur Gegenmeinung; Schwab/Borth V Rdnr. 99 m.w.N.; MünchKomm/Born, BGB, § 1602 Rdnr. 8). Überzeugender erscheint im vorliegenden Fall die Lösung über die zum Ausbildungsunterhalt entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung. Wichtig ist wiederum der Hinweis des Gerichts auf die Unschlüssigkeit der Klage hinsichtlich der Aufteilungder Barunterhaltspflicht unter den Eltern gemäß § 1606 III 1 BGB; denn wenn – abweichend vom Regelfall – das Kind bei keinem Elternteil lebt, so dass dieser seine Verpflichtung zum Unterhalt nicht durch Betreuung erfüllen kann, muss das Kind die wirtschaftlichen Verhältnisse beider Eltern vortragen und beweisen, und zwar auch dann, wenn es – wie nach Trennung und Scheidung der Eltern häufig – nur einen von ihnen verklagt (MünchKomm/Born, BGB, § 1606 Rdnr. 52 m.w.N.).

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