Sittenwidriger Ausschluss des Versorgungsausgleiches
Auch wenn Eheleute – auf Grund der grundsätzlichen Disponibilität von Scheidungsfolgen – gemäß § 1408 I, II 2 BGB den Versorgungsausgleich ausschließen können, darf dies nicht dazu führen, dass der Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen durch vertragliche Vereinbarungen beliebig unterlaufen wird und eine evident einseitige, durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung entsteht, die für den betroffenen Ehegatten unzumutbar ist. Unter Anwendung dieser Grundsätze hat das Oberlandesgericht München entschieden, dass der durch notariellen Vertrag ausgeschlossene Ausschluss des Versorgungsausgleichs sittenwidrig sein kann. Dabei spielte erkennbar eine Rolle, dass der deutsche Ehemann bei Heirat über erheblich höheres Einkommen verfügte, während dies bei der aus Russland eingereisten Ehefrau nicht der Fall war (OLG München, Beschluss vom 12.12.2006 - 2 UF 1148/06; BeckRS 2007, 12639)
Sachverhalt
Die im August 1995 geschlossene Ehe der Parteien wurde nach Scheidungsantrag des Ehemannes durch das AG im April 2006 geschieden; es wurde festgestellt, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet. Zur Begründung wurde vom AG ausgeführt, die Parteien hätten den Versorgungsausgleich in einem notariellen Vertrag wirksam ausgeschlossen. Der Vertrag sei nicht sittenwidrig, weil die Ehefrau den Entwurf mindestens 10 Tage vor Unterzeichnung in Besitz gehabt hätte; nach der Feststellung des Notars sei sie auch erkennbar der deutschen Sprache mächtig gewesen. Durch die Geburt und Erziehung des gemeinsamen Kindes habe die Ehefrau keine versorgungsbedingten Nachteile erlitten. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Ehefrau war erfolgreich. Im Rahmen der Regelung des Versorgungsausgleichs wurden vom Versicherungskonto des Ehemannes monatliche Anwartschaften von 117,60 Euro auf die Ehefrau übertragen.
Rechtliche Wertung
Nach Auffassung des OLG ist der Versorgungsausgleich von Gesetzes wegen durchzuführen, da der im notariellen Ehevertrag vom 24.08.1995 vereinbarte Ausschluss des Versorgungsausgleichs sittenwidrig sei. Nach der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des BGH wirke die Belastung eines Ehegatten umso schwerer, je mehr in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingegriffen werde. Zum Kernbereich zähle – neben dem an erster Stelle stehenden Kindesbetreuungsunterhalt nach § 1570 BGB – an zweiter Stelle der Bereich des Versorgungsausgleichs. Hier sei der Ehevertrag in seiner Gesamtheit als sittenwidrig und dadurch unwirksam anzusehen, weil er in zwei Fällen Regelungen enthalte, die den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts beträfen.
Zum einen sei eine weitgehende Einschränkung des Kindesbetreuungsunterhalts vereinbart worden; denn die Dauer des Bezugs von Kindesbetreuungsunterhalt sei auf die Dauer des tatsächlichen Bestandes der Ehe bis zur endgültigen Trennung und auf das Alter minderjähriger Kinder von maximal 9 Jahren beschränkt worden, was im Einzelfall dazu führen könne, dass bei sehr kurzer tatsächlicher Ehedauer ein nachehelicher Unterhaltsanspruch von nur ein bis zwei Jahren bestehe. Dies werde der gesetzlichen Vorgabe in keiner Weise gerecht.
Zum anderen liege ein Eingriff in den Kernbereich auch hinsichtlich des völligen Ausschlusses des Versorgungsausgleichs vor. Der Versorgungsausgleich stehe als vorweggenommener Altersunterhalt sonstigen Unterhaltsansprüchen gleich und befinde sich deshalb auf der zweiten Stufe des Kernbereichs (gleich unterhalb des Kindesbetreuungsunterhalts). Diese Einseitigkeit der einzelnen Regelungen werde durch den sonstigen Inhalt des Ehevertrages noch verstärkt, weil dort Gütertrennung, ein vollständiger Ausschluss sonstiger Unterhaltsansprüche sowie eine Zuweisung der Ehewohnung an den jeweiligen Eigentümer vorgenommen worden sei. Bei Heirat habe der Ehemann eine Eigentumswohnung sowie den wesentlichen Haushalt besessen und über ein erheblich höheres Einkommen verfügt; demgegenüber habe die aus Russland eingereiste Ehefrau über kein nennenswertes Vermögen verfügt.
Die Gesamtregelung des Ehevertrages stelle sich als eine einseitige Schlechterstellung der Ehefrau dar, die durch keinerlei Gegenleistung im Vertrag kompensiert worden sei. Auch durch besondere Verhältnisse, Ehetyp oder sonstige gewichtige Belange werde diese Schlechterstellung nicht gerechtfertigt. Man könne durchaus zu Gunsten des Ehemannes unterstellen, dass die Ehefrau über ausreichende Deutschkenntnisse verfüge und den Ehevertrag rechtzeitig vor Beurkundung in Händen gehabt habe. Es bleibe dabei, dass sich die Ehefrau in einer erheblich schwächeren wirtschaftlichen Position und einer erheblichen Drucksituation befunden habe. Das – von beiden Parteien gewünschte – Zusammenleben in Deutschland sei wegen der ablaufenden Aufenthaltserlaubnis der Ehefrau nur bei schneller Heirat möglich gewesen. Diese Drucksituation habe der Ehemann nicht einseitig dadurch ausnutzen dürfen, dass er sich nur gegen Abschluss eines – evident für die Ehefrau nachteiligen – Ehevertrages zur Heirat bereit erklärt habe. Der Umstand, dass ein Ehepartner – wie z.B. im Fall der Schwangerschaft – in erheblich größerem Maße auf die Heirat angewiesen sei, stelle gerade keinen Belang dar, der die Durchsetzung einseitiger eigener Interessen durch den anderen Ehepartner rechtfertige. Auch die beabsichtigte Verpflichtung beider Ehegatten zur Berufstätigkeit, die im Vertrag ausdrücklich genannt werde, rechtfertige nicht die Vereinbarung evident einseitiger Regelungen. Zum einen berücksichtige sie die Geburt eines gemeinsamen Kindes während der ersten Jahre der Betreuung nicht ausreichend, zum anderen sei davon auszugehen, dass auf Grund der russischen Staatsangehörigkeit der Ehefrau und ihrer beruflichen Ausbildung in Russland die von ihr vorgetragene berufliche Karriere in Deutschland eher unwahrscheinlich gewesen sei. Deshalb sei von vornherein von einer auf Dauer angelegten erheblichen Einkommens- und Vermögensdifferenz beider Ehegatten auszugehen, die durch den Ehevertrag habe «zementiert» werden sollen.
Die Sittenwidrigkeit des Vertrages nach § 138 I BGB führe zur Gesamtnichtigkeit des Vertrages. Für die Aufrechterhaltung einzelner Klauseln sei kein Raum, wenn der Vertrag – wie hier – in seiner Gesamtheit eine einheitlich nachteilige Regelung enthalte. Das Vorhandensein einer salvatorischen Klausel ändere daran nichts (BGH, Beschluss vom 17.05.2006 - XII ZB 250/03, NJW 2006, 2331). Auf Grund der vorliegenden Unwirksamkeit nach § 138 BGB bleibe für eine eventuelle Ausübungskontrolle (§ 242 BGB) kein Raum.
Praxishinweis
Wie die kürzlich besprochene Entscheidung des BGH vom 04.07.2007 (XII ZB 5/05, BeckRS 2007 12833; Anmerkung Born FD-FamR 2007, 241501) gezeigt hat, sind relativ hohe Hürden zu überwinden, wenn es um die Anwendung der Härteklausel des § 1587h Nr. 1 BGB geht. Anders sieht die Situation im Bereich von Eheverträgen aus. Für denjenigen Ehegatten, der sich von einer Durchführung des Versorgungsausgleichs etwas verspricht, aber seinerzeit einem ehevertraglichen Ausschluss des Versorgungsausgleichs zugestimmt hat, ergibt sich bereits aus der Entscheidung des OLG Hamm vom 24.11.2006 (10 WF 235/06, BeckRS 2007 01465; Anmerkung Born FD-FamR 2007, 213924) eine wichtige Argumentationshilfe. Danach kann sich der von dem Ausschluss begünstigte Ehegatte dem gerichtlichen Ersuchen um Auskunft über Grund und Höhe der Versorgungsanwartschaften nicht mit dem Hinweis auf den ehevertraglich vereinbarten Ausschluss des Versorgungsausgleichs entziehen. Vielmehr kann das Gericht zunächst im ersten Schritt die Auskünfte verlangen, bevor dann im zweiten Schritt darüber entschieden wird, ob der vertragliche Ausschluss als wirksam angesehen werden kann. Dies entspricht dem jetzt vom OLG München zu Recht betonten Umstand, dass der Versorgungsausgleich – was gelegentlich in der Beurteilung von Eheverträgen nicht so sehr im Vordergrund steht – zum Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts zählt, weil er in der Hierarchie nach dem Anspruch auf Betreuungsunterhalt (§ 1570 BGB) an zweiter Stelle eingeordnet ist. Sofern die Vertragsparteien also keine ausreichende Kompensation, z. B. in Form einer Lebensversicherung, vorgesehen haben oder der für den Ausgleichsberechtigten entstehende Nachteil nicht in anderer Weise vertraglich kompensiert wird, begegnet der Ausschluss Bedenken. Gefährlich wird das Ganze dann, wenn der Vertrag – wie im entschiedenen Fall – in seiner Gesamtheit eine einheitlich nachteilige Regelung enthält. Dann hilft auch keine salvatorische Klausel mehr, sondern es muss nach der «Infektionstheorie» auf Grund der «Verzahnung» der verschiedenen Regelungen mit einer Gesamtnichtigkeit des Vertrages gerechnet werden.
Scheidung - Ehescheidung - Ehevertrag - Versorgungsausgleich