Scheidungsrecht Rechtsprechung: Ehegattenunterhalt, Kindesunterhalt, Ehevertrag, Düsseldorfer Tabelle

Eheverträge: Inhaltskontrolle auch zugunsten des Ehemannes

BGH: Inhaltskontrolle von Eheverträgen auch zugunsten des Ehemannes

BGB §§ 138, 1585

Eine Inhaltskontrolle von Eheverträgen kann nicht nur zugunsten des Unterhalt begehrenden Ehegatten veranlasst sein, sondern nach Auffassung des Bundesgerichtshofs im Grundsatz auch zugunsten des auf Unterhalt in Anspruch genommenen Ehemannes. Eine Unterhaltsvereinbarung kann sittenwidrig sein, wenn die Parteien mit dem Vertrag auf der Ehe beruhende Familienlasten zum Nachteil des Sozialleistungsträgers regeln. Das kann auch dann der Fall sein, wenn durch die Vereinbarung bewirkt wird, dass der – über den gesetzlichen Unterhalt hinaus – zahlungspflichtige Ehegatte finanziell nicht mehr in der Lage ist, seine eigene Existenz zu sichern und deshalb auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen ist.

BGH, Urteil vom 05.11.2008 - XII ZR 157/06; BeckRS 2008, 26986

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Leibrentenverpflichtung, die der Ehemann zugunsten der Ehefrau durch Ehevertrag eingegangen ist. Der 1962 geborene Ehemann (türkischer Staatsangehöriger) und die 1953 geborene Ehefrau hatten Ende 1997 geheiratet; ihre Ehe blieb kinderlos. Ende 1999 schlossen die Parteien einen notariellen Ehevertrag, der u.a. einen wechselseitigen Unterhaltsverzicht für den Fall der Scheidung sowie die Verpflichtung des Ehemannes zur Zahlung einer Leibrente an die Ehefrau enthält. Die Leibrente von monatlich 1.300 DM sollte mit dem Tode der Ehefrau erlöschen, des Weiteren ab Bezug von Altersrente der Ehefrau. Während der Ehe war der Ehemann im Wesentlichen durchgehend erwerbstätig, während die Ehefrau bis zum Sommer 2000 arbeitslos war und ALG bezog; seit dem Herbst 2000 ist sie im Umfang von 20 Stunden/Woche als Buchhalterin tätig. Der Ehemann hat die Feststellung begehrt, dass der Ehefrau aus der notariellen Urkunde keine Leibrenten- oder Unterhaltsansprüche zustehen, sondern die Regelung insoweit nichtig ist. Das AG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Ehemannes hat das OLG eine Nichtigkeit des Ehevertrages wegen der Regelung zur Leibrente festgestellt und die Ehefrau zur Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung der notariellen Urkunde an den Ehemann verurteilt. Die Revision der Ehefrau erwies sich als unbegründet.

Rechtliche Wertung

Das BGH bestätigt zunächst die Auffassung des OLG, wonach die vom Ehemann in erster Linie erhobene Feststellungsklage zulässig sei. Die vom BGH aufgestellten Grundsätze für die Inhaltskontrolle von Eheverträgen (grundlegend Urteil vom 11.02.2004 - XII ZR 265/02, NJW 2004, 930) seien nicht nur für den Unterhalt begehrenden Ehegatten, sondern im Grundsatz auch für den Unterhaltsschuldner gültig. Denn auch bei ihm könne eine erhebliche Unterlegenheitsposition vorliegen, die zu einer offensichtlich einseitigen Aufbürdung vertraglicher Lasten führe. Der vertraglich vereinbarte Unterhalt dürfe nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Unterhaltsschuldners führen; sofern die Grenze der Zumutbarkeit überschritten werde, könne man den Parteien die – grundsätzlich zu bejahende – Dispositionsfreiheit nicht mehr zugestehen. Grundvoraussetzung eines jeden Unterhaltsanspruchs sei die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners; diese ende dort, wo er nicht mehr in der Lage sei, seine eigene Existenz zu sichern. Dies sei hier bei einem verbleibenden Einkommen des Ehemannes von allenfalls 810 DM nicht mehr möglich. Vorliegend habe das OLG zur Frage einer erheblich ungleichen Verhandlungsposition keine Feststellungen getroffen mit der Begründung, die Parteien hätten ohne nachvollziehbaren Grund eine evident einseitige, belastende Regelung getroffen; das indiziere eine Störung der subjektiven Verhandlungsparität. Für die Ehefrau sei erkennbar gewesen, dass der Ehemann nicht zur angemessen Vertretung seiner berechtigten Interessen im Stande gewesen sei. Dieser Auffassung sei nicht zu folgen. Für die Beurteilung, ob die subjektiven Elemente der Sittenwidrigkeit eines Ehevertrages vorlägen, könne jedenfalls dann nicht auf konkrete Feststellungen hierzu verzichtet werden, wenn ein Ehegatte dem anderen Leistungen verspreche, für die es keine gesetzliche Grundlage gebe. In solchen Fällen scheide eine tatsächliche Vermutung für eine Störung der Vertragsparität aus.

Die Leibrentenverpflichtung sei hier aber schon deshalb nach § 138 I BGB sittenwidrig und daher nichtig, weil sie zu einer Belastung des Sozialleistungsträgers führen würde. Vorliegend hätten die Parteien einen über das Recht des nachehelichen Unterhalts hinausgehenden Ausgleich vereinbart und dadurch bewirkt, dass der – über den gesetzlichen Unterhalt hinaus zahlungspflichtige – Unterhaltsschuldner finanziell nicht mehr zur Sicherung der eigenen Existenz in der Lage und deshalb auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sei.

Praxishinweis

Der Umstand, dass der BGH jetzt – erstmalig – einen Ehevertrag für unwirksam erklärt hat, weil er den Ehemann belastet, gibt Veranlassung, noch einmal kurz auf die grundlegenden Veränderungen in diesem Bereich der Rechtsprechung hinzuweisen. Im Rahmen der Gestaltung von Eheverträgen gab es lange Zeit eine nahezu grenzenlose Freiheit; Bedenken gegen die Wirksamkeit eines Ehevertrages oder jedenfalls gegen dessen Durchsetzbarkeit wurden nur in ganz eng begrenzten Ausnahmefällen für begründet erachtet. Nach zwei «Warnschüssen» in Gestalt von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 06.02.2001 (1 BvR 12/92, NJW 2001, 957) und vom 29.03.2001 (1 BvR 1766/92, NJW 2001, 2248) folgte dann der «Paukenschlag» des BGH in Gestalt seines Urteils vom 11.02.2004 (XII ZR 265/02, NJW 2004, 930). Dort wird

  • einerseits ein klares Bekenntnis zur Vertragsfreiheit abgelegt; es gibt nach Ansicht des BGH auch keinen unverzichtbaren Mindestgehalt der Scheidungsfolgen;
  • andererseits nunmehr ein «Kernbereich» des Scheidungsfolgenrechts definiert. Die Belastungen eines Ehegatten wiegen umso schwerer, je stärker der Vertrag in diesen Kernbereich eingreift. Umso mehr bedarf der Eingriff dann einer Rechtfertigung.

Erforderlich ist nach Ansicht des BGH eine Gesamtschau der getroffenen Vereinbarung; dabei sind Gründe und Umstände ihres Zustandekommens ebenso zu berücksichtigen wie die berücksichtigte und verwirklichte Gestaltung des ehelichen Lebens. Die Grenze der Vertragsfreiheit ist dann überschritten, wenn und soweit dadurch eine evident einseitige und durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht mehr gerechtfertigte Lastenverteilung entsteht, die für den belasteten Ehegatten bei angemessener Berücksichtigung der Belange des Anderen und seines Vertrauens in die Vereinbarung bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar erscheint. Zu prüfen ist wie folgt:

  • Im Rahmen der>(§ 138 BGB) kommt es auf die Situation bei Vertragsabschluss an. Wenn feststeht, dass die Vereinbarung evident einseitig ist und eine ungerechtfertigte Lastenverteilung enthält, ist Sittenwidrigkeit anzunehmen.
  • Auch wenn diese «erste Hürde» genommen ist, kann der Begünstigte nach Durchführung der Ausübungskontrolle (§ 242 BGB) nach Treu und Glauben gehindert sein, sich auf die Vereinbarung zu berufen. In diesem Rahmen wird die weitere Entwicklung der ehelichen Lebensverhältnisse vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bis zum aktuellen Zeitpunkt geprüft.

Insbesondere unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Spiegelbildlichkeit ist es nur konsequent, wenn sich – wie jetzt vom BGH erstmals entschieden – auch der Ehemann als Unterhaltsschuldner auf die genannten Grundsätze berufen kann, sodass sich die gerichtliche Inhaltskontrolle auch zu Lasten des Unterhaltsberechtigten auswirkt. Dieses Ergebnis entspricht dem Zweck eines Schutzes der Beteiligten vor unangemessener Benachteiligung. Schon in einer früheren Entscheidung der Instanzrechtsprechung (OLG Celle, Beschluss vom 08.09.2004 - 15 WF 214/04, NJW-RR 2004, 1585) wurde anerkannt, dass sich der Schuldner, der sich im Rahmen des Vertrages finanziell übernommen hat, jedenfalls in den Fällen der Unterschreitung des Existenzminimums auf eine Unwirksamkeit der vertraglichen Verpflichtung berufen kann; dies wurde vorher durchaus anders gesehen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 29.07.1997 - 18 UF 112/97, FamRZ 1998, 1296).