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BGH: Kein Altersphasenmodell mehr beim Betreuungsunterhalt

 

 

 

BGB § 1570

Ein bei der Frage der Verlängerung des Betreuungsunterhalts aus kindbezogenen Gründen allein auf das Alter des Kindes abstellendes Altersphasenmodell kommt nach der geänderten Fassung des § 1570 BGB nicht in Betracht. Wie der Bundesgerichtshof entschieden hat, ist im Rahmen der Billigkeitsentscheidung über eine Anspruchsverlängerung aus kindbezogenen Gründen (§ 1570 I 2, 3 BGB) stets zunächst der individuelle Umstand zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Kindesbetreuung auf andere Weise gesichert ist oder in kindgerechten Betreuungseinrichtungen gesichert werden könnte. Mit der gesetzlichen Neuregelung wurde der Vorrang der persönlichen Betreuung jenseits der «Basiszeit» von drei Jahren aufgegeben. Allerdings kann einer Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils entgegenstehen, dass der ihm daneben verbleibende Anteil an der Betreuung und Erziehung des Kindes zu einer überobligationsmäßigen Belastung führen kann.

BGH, Urteil vom 18.03.2009 - XII ZR 74/08; BeckRS 2009, 10096

Sachverhalt

Die Parteien streiten um nachehelichen Unterhalt. Aus ihrer im Januar 2000 geschlossenen Ehe ging ein im November 2001 geborener Sohn hervor. Nach der Trennung im September 2003 wurde die Ehe im April 2006 rechtskräftig geschieden. Der Sohn lebt seit der Trennung der Parteien bei der Klägerin. Seit 2005 besuchte er eine Kindertagesstätte mit Nachmittagsbetreuung, seit September 2007 geht er zur Schule und danach bis 16 Uhr in einen Hort. Er leidet unter chronischem Asthma. Die Klägerin ist verbeamtete Studienrätin und seit August 2002 mit knapp 7/10 einer Vollzeitstelle (18 Wochenstunden) erwerbstätig. Das AG hat den Beklagten zur Zahlung von nachehelichem Betreuungs- und Aufstockungsunterhalt in zeitlich gestaffelter Höhe verurteilt, zuletzt für die Zeit ab November 2007 in Höhe von monatlich 837 Euro. Das KG hat die Berufung des Beklagten, mit der er eine Herabsetzung des monatlichen Unterhalts auf 416,32 Euro für die Zeit ab November 2007 und eine zeitliche Befristung der Unterhaltszahlungen bis Juni 2009 begehrt hat, zurückgewiesen. Die Revision des Beklagten war zum Teil erfolgreich, und zwar insoweit, als über Unterhalt der Klägerin für die Zeit ab Januar 2008 entschieden wurde. Im Umfang der Aufhebung wurde die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das KG zurückverwiesen.

Rechtliche Wertung

Der BGH verweist zunächst auf die grundlegende Umgestaltung des Anspruchs auf Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB. Der Gesetzgeber habe einen auf drei Jahre befristeten Basisunterhalt eingeführt, der aus Gründen der Billigkeit verlängert werden könne. Im Rahmen dieser Billigkeitsentscheidung seien kind- und elternbezogene Verlängerungsgründe zu berücksichtigen. Innerhalb der Basiszeit könne der betreuende Elternteil frei entscheiden, ob er selbst erziehen oder eine andere Betreuungsmöglichkeit in Anspruch nehmen wolle. Werde in dieser Zeit Einkommen erzielt, sei dies stets überobligatorisch, sodass eine schon bestehende Erwerbstätigkeit ohne Konsequenzen wieder aufgegeben werden könne. Werde Einkommen erzielt, sei dies nach den Umständen des Einzelfalles anteilig zu berücksichtigen. Eine Verlängerung nach Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes komme in Betracht, wenn dies der Billigkeit entspreche (§ 1570 I 2 BGB). Auch die Neuregelung verlange allerdings keinen abrupten Wechsel von der elterlichen Betreuung zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit; vielmehr sei nach Maßgabe von kindbezogenen (1570 I 3) und elternbezogenen (1570 II) Gründen auch nach dem neuen Unterhaltsrecht ein gestufter Übergang bis hin zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit möglich (BGH, Urteil vom 16.07.2008 – XII ZR 109/05, NJW 2008, 3125; Anmerkung Born, FD-FamR 2008, 265304). Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen einer Verlängerung über die Basiszeit von drei Jahren hinaus liege beim unterhaltsberechtigten Elternteil.

Die kindbezogenen Verlängerungsgründefänden ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 6 II GG; die Ansprüche seien hier für Eltern ehelich geborener und nichtehelich geborener Kinder wortgleich ausgestaltet. Im Rahmen der Verlängerung ab Vollendung des dritten Lebensjahres habe der Gesetzgeber den Vorrang der persönlichen Betreuung gegenüber anderen kindgerechten Betreuungsmöglichkeiten aufgegeben, was in der Regel mit dem Grundrecht aus Art. 6 II GG und dem Kindeswohl vereinbar sei. Hintergrund seien die zahlreichen sozialstaatlichen Leistungen und Regelungen, insbesondere der Anspruchdes Kindes auf den Besuch einer Tageseinrichtung (§ 24 I SGB VIII). Die Obliegenheit zur Inanspruchnahme einer kindgerechten Betreuungsmöglichkeit finde erst dort ihre Grenze, wo die Betreuung nicht mehr mit dem Kindeswohl vereinbar sei; dies sei jedenfalls bei öffentlichen Betreuungseinrichtungen wie Kindergärten, Kindertagesstätten oder Kinderhorten regelmäßig nicht der Fall. Im Rahmen der Billigkeitsentscheidung über eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts sei deswegen stets zunächst der individuelle Umstand zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Kindesbetreuung auf andere Weise gesichertsei oder in kindgerechten Einrichtungen gesichert werden könne. Soweit dem gegenüber in Rechtsprechung und Literatur zu der neuen Fassung des Gesetzes abweichende Auffassungen vertreten würden, die an das frühere Altersphasenmodell anknüpften und eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts allein vom Kindesalter abhängig machten (z. B. auch Leitlinien des OLG Hamm unter Nr. 17. 1. 1) seien diese im Hinblick auf den eindeutigen Willen des Gesetzgebers nicht haltbar. Eine eingeschränkte Erwerbspflicht mit der Folge einer Verlängerung des Betreuungsunterhalts könne sich aufgrund schwerer Erkrankung des Kindes, die im Rahmen einer Betreuung in einer kindgerechten Einrichtung nicht aufgefangen werden kann, ergeben.

Eine Verlängerung aus elternbezogenen Gründensei nach der Systematik des § 1570 BGB erst nachrangig zu prüfen, sofern nicht schon kindbezogene Gründe einer Erwerbstätigkeit entgegen stünden. Diese Gründe für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts beruhten auf einer nachehelichen Solidarität; maßgeblich sei das in der Ehe gewachsene Vertrauen in die vereinbarte oder praktizierte Rollenverteilung und die gemeinsame Ausgestaltung der Kindesbetreuung. Die Umstände gewönnen bei längerer Ehedauer oder bei Aufgabe der Erwerbstätigkeit zur Erziehung des gemeinsamen Kindes an Bedeutung. Die – ausgeübte oder verlangte – Erwerbstätigkeit neben dem – nach der Erziehung und Betreuung in Tageseinrichtungen verbleibenden – Anteil an der Betreuung dürfte nicht zu einer obligationsmäßigen Belastung des betreuenden Elternteils führen (BGH, a.a.O.), die ihrerseits negative Auswirkungen auf das Kindeswohl entfalten könnte. Denn selbst wenn ein Kind ganztags in einer kindgerechten Einrichtung betreut und erzogen werde (was dem betreuenden Elternteil grundsätzlich die Möglichkeit zu einer Vollzeittätigkeit einräumen würde), könne sich bei Rückkehr in die Familienwohnung ein weiterer Betreuungsbedarf ergeben, dessen Umfang im Einzelfall unterschiedlich sein könne. Vorliegend habe das OLG zu Unrecht vorrangig auf das Alter des Kindes abgestellt, aber nicht hinreichend berücksichtigt, dass es nach Ende der Schule bis 16 Uhr einen Hort aufsuche. Hinsichtlich der Krankheit habe das OLG – über die pauschale Angabe, dass Kind leide unter chronischem Asthma, hinaus – keine konkreten Auswirkungen festgestellt und auch keine Feststellungen dazu getroffen, dass die Klägerin als Lehrerin bei vollschichtiger Erwerbstätigkeit über 16 Uhr hinaus berufstätig sein müsste. Das OLG habe damit keine kindbezogenen Gründe für eine eingeschränkte Erwerbsobliegenheit und somit für eine Anspruchsverlängerung über die Basiszeit hinaus festgestellt; Gleiches gelte für etwaige elternbezogene Gründe.

Für das weitere Verfahren wird vom BGH darauf hingewiesen, dass eine Befristung des Betreuungsunterhalts jedenfalls nicht schon nach der Systematik des § 1570 BGB geboten sei. Der Anspruch während der ersten drei Lebensjahre und der verlängerte Anspruch bildeten einen einheitlichen Unterhaltsanspruch. Eine Befristung nach § 1578b BGB scheide schon deswegen aus, weil § 1570 BGB eine Sonderregelung für die Billigkeitsabwägung enthalte. Im Rahmen der Anspruchsverlängerung stehe dem betreuenden Elternteil nur noch Betreuungsunterhalt nach Billigkeit zu (§ 1570 I 2 BGB); hier seien bereits alle kind- und elternbezogenen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Wenn die Billigkeitsabwägung zu dem Ergebnis führe, dass der Betreuungsunterhalt über die Basiszeit hinaus wenigstens teilweise fortdauere, könnten dieselben Gründe nicht zu einer Befristung im Rahmen der Billigkeit nach § 1578b BGB führen. Soweit Aufstockungsunterhalt in Betracht komme, scheide eine Befristung schon mangels hinreichend klarer Prognose über den Umfang einer künftigen Erwerbsobliegenheit aus. Außerdem stehe einer Befristung entgegen, dass nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zur Zeit nicht hinreichend sicher absehbar sei, ob die Klägerin infolge der Kindererziehung ehebedingte Nachteile erlitten habe oder noch erleiden werde. Eine Begrenzung der Höhe nach (vom eheangemessenen Unterhalt nach § 1578 I BGB auf einen angemessenen Unterhalt nach eigener Lebensstellung) habe das Berufungsgericht zu Recht abgelehnt. Zwar komme eine solche Begrenzung grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn wegen der noch fortdauernden Kindesbetreuung eine Befristung des Betreuungsunterhalts entfalle. Besonders in Fällen, in denen der Unterhaltsbedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen erheblich über den angemessenen Unterhalt nach eigener Lebensstellung des Berechtigten hinausgehe, komme diese Kürzung in Betracht. Sie setze allerdings voraus, dass die notwendige Erziehung und Betreuung des gemeinsamen Kindes trotz des abgesenkten Unterhaltsbedarfs sichergestellt und das Kindeswohl auch sonst nicht beeinträchtigt sei, während eine fortdauernde Teilhabe des betreuenden Elternteils an den abgeleiteten Lebensverhältnissen während der Ehe unbillig erscheine.

Praxishinweis

Eine Untersuchung der Erfahrungen des ersten Jahres zum Betreuungsunterhalt nach neuem Recht (s. Born FF 2009, 92) ergibt, dass einige Gerichte – ausgelöst durch die (zum Betreuungsunterhaltsanspruch der Mutter des nichtehelichen Kindes ergangene) Entscheidung des BGH vom 16.07.2008 (a.a.O.) – die Aufforderung zur Bildung von Fallgruppen aufgegriffen und die Beurteilung der Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils vorrangig auf der Basis des Kindesalters vorgenommen haben. Dies entspricht dem Ansatz in einigen unterhaltsrechtlichen Leitlinien (OLG Hamm, Dresden, Frankfurt a. M.); demgegenüber enthalten die Leitlinien der meisten anderen Oberlandesgerichte keine festen Vorgaben. Der BGH hat jetzt klargestellt, dass ein Altersphasenmodell, welches die Frage der Anspruchsverlängerung allein am Kindesalter ausrichtet, nicht in Betracht kommt.

Innerhalb der Basiszeit ist der Elternteil in seiner Entscheidung frei, ob er das Kind betreuen möchte oder nicht. Tatsächlich erzieltes Einkommen ist stets überobligatorisch mit der Folge, dass die Tätigkeit ohne Angabe von Gründen und ohne Sanktionen aufgegeben werden kann. Werden dagegen Einkünfte erzielt, weil das Kind auf andere Weise betreut wird, ist das erzielte Einkommen anteilig zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 13.04.2005 – XII ZR 273/02, NJW 2005, 2145).

Im Rahmen der Verlängerung des Anspruchs ist ein gestufter Übergang bis hin zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit sachgerecht (BGH, Urteil vom 16.07.2008, a.a.O.); ein abrupter Wechsel zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit kann nicht verlangt werden.

Die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsverlängerung über die Basiszeit hinaus liegt beim unterhaltsberechtigten Elternteil.

Wichtig ist der Hinweis des BGH darauf, dass der Gesetzgeber mit der Neugestaltung des § 1570 BGB den Vorrang der persönlichen Betreuung aufgegeben hat, und zwar im Hinblick auf den gesetzlichen Anspruch des Kindes auf den Besuch einer Tageseinrichtung (§ 24 I SGB VIII). Die Grenze der Obliegenheit zur Inanspruchnahme der kindgerechten Betreuungsmöglichkeit ist erst dort erreicht, wo die Betreuung nicht mehr mit dem Kindeswohl vereinbar ist. Nach ausdrücklichem Hinweis des BGH (Rdnr. 26) kommt diese Ausnahme bei öffentlichen Betreuungseinrichtungen wie Kindergärten, Kindertagesstätten oder Kinderhorten regelmäßig nicht in Betracht; etwas anderes kann sich bei Krankheit ergeben (Rdnr. 29). Dazu ist dann aber in jedem Fall konkreter Sachvortrag erforderlich.

 

Unterhaltsberechnung:

 

Trennungsunterhalt - Scheidungsunterhalt – Kindesunterhalt - Elternunterhalt

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